Kohlrabenschwarz – 1958 als Praktikant unter Tage
Brücke von heute nach damals
Der 21. Dezember 2018 liegt noch nicht lange zurück, es war der Tag, an dem auf der Steinkohlen-Zeche Prosper-Haniel in Bottrop die letzte Schicht verfahren worden ist, der Abbau des »Schwarzen Goldes« in Deutschland geendet hat, ein großer Einschnitt für das Ruhrgebiet, ein Abschied nicht ohne Wehmut, wie ihn das Saarland schon Jahre früher hat bewältigen müssen. An der Ruhr wie an der Saar hat der Bergbau über lange Zeiten Landschaft und Menschen tief geprägt, so stark, dass man meinen könnte, das Land habe mit dem Verlust dieses Zweigs der Industrie seine Seele eingebüßt. Zum Glück ist das nur der erste, oberflächliche Eindruck. So, wie wir die Erinnerung an einen lieben Verstorbenen bewahren, sein Bild in die Wohnstube hängen und bei Familienfesten von ihm erzählen, zeugen überall im Land die verbliebenen Fördertürme, die inzwischen begrünten Bergehalden und die vielerorts aufgestellten Gruben-Loks und Loren von der Bergbau-Vergangenheit, wird in Bergmannsvereinen und bei Barbara-Feiern erzählt, »wie es damals wirklich war«. Im Mittelpunkt des Erinnerns stehen immer seltener Mühsal und Gefahr der Arbeit unter Tage, die stets drohenden »Grubenunglücke« oder der frühe und elend schwere Tod vieler Bergleute, deren Lunge vom Steinstaub zerfressen war, sondern mehr und mehr heitere Geschehnisse, wie eben die vergehende Zeit unsere Erinnerung nach und nach aufzuhellen pflegt.
Am besten kann natürlich der Bergmann selbst erzählen, der viele Jahre unter Tage vor Ort gearbeitet hat, viele dieser Begebenheiten und Histörchen sind glücklicherweise aufgezeichnet und veröffentlicht worden, gerade auch im Saarland. Daneben stehen die eher flüchtigen Schilderungen der Arbeit unter Tage, die aus Anlass des zu Ende gehenden Kohleabbaus in den Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt worden sind, von denen verfasst, die noch einmal in ein Bergwerk einfahren und eine »Grubenfahrt« erleben konnten. Auch dieses Buch will Bilder einer versunkenen Arbeitswelt vor dem Vergessen bewahren, das aber weder aus der Sicht eines berufserfahrenen Bergmanns noch nach kurzem Einblick des Reporters. Hier geht es um die Erlebnisse eines jungen Werksstudenten bei der Arbeit im Bergwerk Reden, heute gut sechzig Jahre zurückliegend im Jahr 1958. Im Mittelpunkt steht nicht der Steinkohlen-Bergbau in einem der Reviere, sondern allein die saarländische Grube Reden.
Dieses Bergwerk, nicht das älteste, lange Zeit aber das größte im Saarland, war in einem Gebiet entstanden, in dem die Kohlenflöze vielerorts an der Oberfläche zutage treten. Seit Jahrhunderten war das bekannt, im »Grubenwald« ist die Kohle »wild« abgegraben worden, heute noch an Vertiefungen im Wald zu erkennen. Der Abbau in der Tiefe hat in diesem Raum unter preußischer Bergverwaltung Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen, nachdem die Eisenbahn die Städte Saarbrücken und Neunkirchen verbunden hatte und entlang dieser Linie eine Reihe von »Eisenbahngruben« entstanden oder erweitert worden sind. Im Jahr 1846 ist in Reden ein erster Schacht abgeteuft worden, vier weitere folgten. Das Bergwerk erhielt den Namen des schlesischen Berghauptmanns und preußischen Bergwerkministers Friedrich-Wilhelm Graf von Reden.
Die Geschichte des Saar-Bergbaus und der Grube Reden folgt der bewegten Geschichte des Saargebiets, das seine Selbständigkeit letztlich nur dem Bergbau und der übrigen Montanindustrie verdankt: Nach preußischer Bergaufsicht in der Folge des Ersten Weltkriegs eine Verwaltung durch Frankreich, Verwaltung durch das Deutsche Reich nach der Volksabstimmung von 1935, dann wieder französische Aufsicht nach dem Zweiten Weltkrieg und schließlich die neuerliche Rückführung in ein deutsches Unternehmen mit Beteiligung des Saarlandes, bis zum Ende der Förderung in Reden im Jahr 1995 und zur endgültigen Stilllegung im Jahr 2000.
Unter den vielen Bergwerken im Saarrevier hatte Reden immer einen besonderen Rang und Klang, und deshalb ist die Grube Reden auch als zentraler Ort zukünftiger Erinnerung an den Bergbau ausgewählt worden. Lange vor dem furchtbaren Grubenunglück in Luisenthal hatte es hier eine tragische Schlagwetter- und Kohlenstaubexplosion gegeben, am 28. Januar 1907, die 150 Bergleuten den Tod gebracht hat. Ein Glück war es noch, dass das Unglück am Tag nach »Kaisers Geburtstag« geschah und wegen der ausgiebigen Feiern am Vorabend nur ein Teil der Belegschaft zur Frühschicht eingefahren war; andernfalls wäre die Zahl der Opfer viel größer gewesen. In einem kleinen Park nahe der Grube erinnert ein Denkmal an das Geschehen. Ein anderer damals als wichtig empfundener Tag war der 2. November 1935, an dem der angereiste Reichsmarschall Hermann Göring ankündigte, Grube Reden werde zur Musteranlage ausgebaut. Dem imposanten Zechenhaus ist anzusehen, dass es aus der Zeit des »Dritten Reichs« stammt; an der Stirnwand des Lesesaals im Innern musste dem riesigen Adler nach dem Krieg das Hakenkreuz abgeschlagen werden. Die bekannte, von dem Bildhauer Fritz Koelle geschaffene Statue des Saarbergmanns, »Hennes« genannt, atmet den Geist der damaligen Zeit. Reden ist in der Tat die modernste Grube Deutschlands geworden und lange geblieben. Das hat in späteren Jahren manch prominenten Besucher angelockt, der sich nach einer Grubenfahrt gern mit geschwärztem Gesicht für Zeitung oder Wochenschau hat aufnehmen lassen.
So habe ich selbst den Besuch des Bundeskanzlers
Helmut Schmidt in Erinnerung, für den eigens ein Hubschrauberlandeplatz hergerichtet worden ist; das war aber eine vergebliche Liebesmüh, denn der Kanzler wollte letztlich lieber mit der Bahn anreisen. Mir hat das ein verspätetes Eintreffen im Dienst beschert, weil der Bahnhof Reden, von dem aus ich damals zur Arbeit nach Saarbrücken fuhr, so lange gesperrt blieb, bis der Bundeskanzler sein Frühstück im Salonwagen beendet hatte. Man kann sich denken, dass »die Oberen« im Bergwerk solchen Besuchen mit Schrecken entgegen sahen und die Besucher mit drei Kreuzen verabschiedeten.
Zeitlich dazwischen, zwischen dem Ausbau zum Musterbergwerk und der Stilllegung der Grube, liegt das im Buch maßgebliche Jahr 1958 in der damaligen Blütezeit der Montanindustrie. Im Saar-Bergbau fanden rund 65.000 Menschen Arbeit und Brot, eine Höchstzahl, die schon wenig später entscheidend reduziert worden ist. Die vielen tausend Bergleute, die in drei Schichten in die Grube Reden einfuhren, wurden aus den Heimatdörfern mit Bahn oder Bussen nach Reden gebracht. Bergwerksdirektor war zu dieser Zeit mein Vater, der von der Bergwerksdirektion Sulzbach aus die Grube Reden und etliche andere Gruben leitete. Er war vor dem Ersten Weltkrieg im Elsass geboren worden, hatte vor dem Zweiten Weltkrieg in Aachen Bergbau studiert und hat nach den durch den Krieg verlorenen Lebensjahren auf der Suche nach Arbeit im Jahr 1946 in Reden eine Anstellung als Betriebsingenieur auf Probe gefunden. Jahre später, inzwischen als Bergwerksdirektor, hatte man ihm und seiner Familie eine imposante, in preußischer Zeit errichtete Villa zugewiesen, im Ort das »Schlößje« genannt, von einem Park umgeben. Mein älterer Bruder war als Student des Bergfachs in Aachen in die Fußstapfen unseres Vaters getreten, mir war die Wahl des Studienfachs freigegeben. Das »Schlößje« in Reden ist inzwischen wegen schwerer Grubenschäden abgerissen worden, aus dem Park ist ein Parkplatz geworden, an einem Rest der Umfassungsmauer aus rotem Klinker erinnert lediglich noch ein Schild an die frühere »Direktorenvilla«. Von hier aus zur Grube Reden führt die Schloßstraße mit einer Reihe gleichartiger Grubenhäuser.
Ohne die Protektion meines Vaters, darüber war und bin ich mir klar, wäre ich nie als Praktikant angenommen worden. Heute sehe ich deutlicher als damals, dass mir ein jeder als dem »Sohn des Herrn Direktor« von vornherein kritisch oder misstrauisch begegnen musste. Bis heute bin ich stolz, dass ich nach kurzer Zeit als der akzeptiert worden bin, der ich damals war, vor allem in der »Partie Zimmer« mit einer Gruppe Bergleuten von besonderer Persönlichkeit, auch mit durchaus liebenswerten Schrullen.
Dietmar Moench. Kohlrabenschwarz. 1958 als Praktikant unter Tage.
Format 12 x 21 cm, 80 Seiten, 16. Abbildungen, Festeinband
ISBN 978-3-941095-63-2, 15,00 Euro